Im Jahr 1987 im “Palais de Beaulieu” in Lausanne konnte ich mein erstes Konzert von Depeche Mode sehen, damals bestritt Front 242 den ersten Teil der Show auf der “Music for the Masses” World Tour. 26 Jahre später durfte ich die Herren nun am letzten Freitag auf ihrer “Delta Machine” Tour bewundern und was soll ich sagen, Depeche Mode live ist einfach unbeschreiblich. Mit was vom besten, was ich bislang gehört und gesehen habe. Keine grosse Lightshow oder anderes Spektakel, im Fokus steht die Musik und nichts als die Musik und das ist gut so. Bei herrlichem Wetter begeisterte eine Band in Hochform über zwei Stunden das fast ausverkaufte Berner Stade de Suisse. Wo sonst die Götter des Fussballs ihren Ballzauber zeigen, spielten an diesem Abend die Götter des unverwechselbarem Sounds!
Im Mai 2013 hat die Band mit der “The Delta Machine”-Tour durch Europas Stadien begonnen, welche sie im Herbst nach Nordamerika führen wird. Als Support ist in Europa die Band “Trentemøller” mit von der Partie. Der dänische DJ und Produzent Anders Trentemøller heimste bis dato zahlreiche Auszeichnungen als Produzent und DJ ein und machte sich einen internationalen Namen als Remixer, u.a. für die “Pet Shop Boys” und 2011 hat er den Hit “Wrong” für Depeche Mode aufgefrischt. Mit dem Dänen haben sich Depeche Mode einen gefragten Musiker ins Boot geholt, der spätestens seit seinem viel gelobten Album “The Last Ressort” (2006) zu den gefragtesten Künstlern gehört und auch an diesem Freitag Abend in Bern absolut zu überzeugen vermochte.
Depeche Mode, die englische Synthie-Pop-Gruppe mit dem Namen eines französischen Modemagazins, hat sich nach massiven internen Querelen, dem Ausstieg von Keyboarder Alan Wilder Mitte der Neunziger und der Drogensucht und Suizidversuch von Sänger Dave Gahan wiedergefunden und heute haben alle Bandmitglieder den nötigen Freiraum, um sich selbst zu verwirklichen. Einige erfolgreiche Soloalben zeugen von diesem Schritt und das Ganze hat sich auch auf das Songschreiben ausgewirkt. War früher Martin Gore dafür zuständig, wirken heute alle Bandmitglieder mit. Der Auftritt von Depeche Mode am 7. Juni 2013 geriet zu einem wahren Triumphzug für die Band. Ein begeisterungsfähiges und singfreudiges Publikum sorgte von Beginn an für Euphorie auf den Rängen und auf der Bühne. Mit “Welcome To My World” begrüsst Depeche Mode am Freitagabend das Berner Stade de Suisse. Die Geschichte eines Depeche Mode Konzerts ist auch stets die Geschichte der Fans und ihrer sagenhaften Begeisterungsfähigkeit. Mit einem guten Sinn für Spannungsaufbau bringt die Band nach zwei Songs des neuen Albums den ersten Klassiker. Nach einem abstrakten Klangintro, das den Song noch nicht verrät, startet der Ohrwurm “Walking In My Shoes”. Sofort erhebt sich das Publikum auf den Rängen, um mitzusingen und mitzutanzen und die Begeisterung steigert sich noch mit dem folgenden, düster brodelnden “Black Celebration” und “Policy of Truth”.
Der 51-jährige Dave Gahan hat sichtlich Freude an der Atmosphäre, lächelt ins Publikum, tanzt über die Bühne und wackelt lasziv mit dem Hintern, worauf (vornehmlich) die weiblichen Besucher mit lauten Jubel reagieren. Er macht Grimassen und rudert mit den Armen. Einst war er schwer drogenabhängig, Selbstmord gefährdet und krebskrank. Doch am Konzert in Bern strotzt Dave Gahan vor Energie und ist auf der Bühne der Dreh- und Angelpunkt von Depeche Mode. Topfit wetzt er wie ein Irrer über die Bühne und übt sich in Posen der Rockstars. Soundtüftler und Hauptkomponist Martin Gore hielt sich mit wenigen Ausnahmen in der zweiten Reihe und überliess Gahan die Show und Animation. Andrew Fletcher, das dritte Urgestein, blieb ganz im Hintergrund. Unterstützt wurde das Trio von einem Schlagzeuger und einem weiteren Keyboarder. Live hat sich Depeche Mode längst vom reinen Spielart des Synthie-Pop der Anfangszeit wegbewegt und hat sich mit dem Stadionrock versöhnt. Sie, die einst die Gitarre aus der Popmusik verbannten, haben wieder auf das prägende Instrument des Rock zurück gegriffen.
Dave Gahan hat bis jetzt bestechend klar und kräftig gesungen. Bei “Should be Higher” zeigen sich nun Schwächen in den oberen Lagen der Stimme. Doch er strapaziert diese nicht, sondern lässt sie dramatisch abbrechen, was die Wirkung des Textes über Liebe und Lüge noch verstärkt. Darauf folgen von Martin Gore gesungene Songs “Higher Love” und “When The Body Speaks” und diese lassen erkennen, dass Martin ein vielseitigerer und sicherer Sänger ist. Doch Mr. Bewegungslos hinter dem Keyboard, vermag ein voll besetztes Stadion einfach nicht recht zu packen, denn es mangelt seiner Stimme einfach an Charisma und so gehört dieser Part zu den langweiligsten Momenten des Konzerts. Das Publikum gibt sich zwar alle Mühe, sich für seine Songs mit warmherzigen Applaus zu bedanken, aber für ein Stadion sind seine Lieder einfach zu ruhig und vor allem zu lang und die anfängliche Euphorie hat sich wieder gelegt. Mit frischem Gilet erscheint Dave Gahan wieder auf der Bühne und es folgt das schleppende, melancholische “Heaven”, der eindringlichste Song des neuen Albums.
Der Tiefpunkt des ganzen Abends ist die Performance von “Soothe my Soul”. Die alternierenden Vocals zwischen Gahan und Gore funktionieren im dröhenden Live-Sound nicht und sowohl Text als auch Beats wirken flach und unoriginell. Depeche Mode spielen an diesem Abend zwar einige neuere Songs, aber natürlich wartet das Publikum auf die grossen 80er- und 90er-Hits. Depeche Mode könnte die Fans einfach mit originalgetreuen Versionen ihrer zahlreichen Hits begeistern, doch viele der Klassiker interpretiert die mit zwei Gastmusikern verstärkte Band deutlich anders. “A Pain That I’m Used To” wird in einer gradlinig pumpenden Dancefloor-Version dargeboten und auffallend locker und leicht gerät die Version von “A Question Of Time” aus dem Jahr 1986. Und so folgen die Lieder, auf die jeder wartet: “Enjoy The Silence” gerät zur erwarteten Mitsing-Orgie, während “Personal Jesus” extrem langsam beginnt, um dann regelrecht zu explodieren. Im Stück “Goodbye” hingegen verstärken die Musiker den klanglichen Kontrast zwischen bluesiger Gitarre, verzerrtem Electro-Sound und innigem Chorgesang. Stammdesigner Corbijn lässt über die Grossleinwände visuell so einiges an Filmchen und Kamera-Gimicks auf die Fans prasseln: Das Hütchen-Spiel wirkt witzig und die Feuerschwinger sind spektakulär, doch Sachen wie die Hundeparade sind einfach nur doof.
Inzwischen tanzen alle Zuschauer bis in die obersten Reihen und der Jubel kennt keine Grenzen mehr. Es folgen fünf Zugaben, darunter eine epischen Interpretation von “Just Can’t Get Enough»” aus dem Jahr 1981, deren Party-Groove auch an diesem Abend den Fans so richtig einheizt. Doch nach gut zwei Stunden ist es Zeit aufzuhören: Bei “I Feel You” wirkt Dave Gahan heiser und mit “Never Let Me Down Again” ruft Depeche Mode zum Schluss das zwischen Glückseligkeit und Wahnsinn rasende Gefühl in Erinnerung, das die Musiker Ende der 80er Jahre mit dem Welterfolg erlebten. Am Schluss also zwei Klassiker, die das Publikum vollends zum Ausrasten bringen. Um eine solche Stimmung nochmals zu erleben, muss man wohl warten bis zum nächsten Depeche Mode Konzert.
Depeche Mode sind gerade als Liveband ein sicherer Wert und es ist sicher nicht ganz korrekt, Depeche Mode als “Frauenband” zu betiteln, aber der Frauen-Anteil ist weitaus höher als bei anderen Konzerten derselben Grössenordnung. Das liegt wohl zum grössten Teil an Dave, der immer noch eine Ausstrahlung und Bühnenpräsenz besitzt, die problemlos die hintersten Reihen des Berner Stadions erreichten. Der Frontmann fegt nur so über die Bühne, kreist cool die Hüften, stampft mit dem Mikrofonständer auf den Bühnenboden, entblösst seinen Oberkörper und wirkt genauso fit wie vor zwanzig Jahren. Dabei performt er seine Mitmusiker förmlich an die Wand, aber gerade das macht das Trio aus: Vorne tobt das Bühnentier Gahan, flankiert von Martin Gore und Andy Fletcher. Doch viel mehr als “Thank you” und “Come on” bringt auch Dave Gahan an diesem Abend nicht über die Lippen. Lieber dreht er dem Publikum hin und wieder den Rücken zu, blickt über seine rechte Schulter und wirft diesen fordernden, lasziven Blick in die Menge, was natürlich stets mit tosendem Applaus erwidert wird. Man kann sich Dave Gahan einfach nicht entziehen. Grossartig, diese Spielfreude und Dave’s unbändige Energie und dazu stahlte der Personal Jesus mit der Abendsonne um die Wette. Ihn so gutgelaunt zu sehen, tat gut, obwohl er sich mehrmals beim Zürcherpublikum (!) bedankte.
Depeche Mode live ist genial und die Herren hätten noch locker 2 Stunden länger spielen können, denn es fehlten unzählige Hits wie “People are People”, “Blasphemous Rumours”, “World in my Eyes”, “In your Room” um nur einige zu nennen. Was mich aber verwunderte fand nicht auf der Bühne, sondern im Publikum statt: Noch nie habe ich an einem Konzert so viele Sekttrinker, Abendkleid- und Anzugträger gesehen! Früher sah das Publikum noch anders aus: Düsterer, cooler, lässiger – heute gleicht das ganze fast einem Staatsball für Sekttrinker. Doch dank vieler originell arrangierter Oldies war es trotzdem ein runder Abend. Hätten die Drei jetzt noch statt 7 nur 3 neue Käse Lieder gebracht, wäre es wohl das Konzert des Jahres gewesen.
Setlist:
- Welcome to my world
- Angel
- Walking in my shoes
- Precious
- Black celebration
- Policy of truth
- Should be higher
- Barrel of a gun
- Higher love (Martin Gore)
- When the body speaks (Martin Gore)
- Heaven
- Soothe my soul
- A pain that I’m used to (Jacques Lu Cont’s Remix)
- A qestion of time
- Secret to the end
- Enjoy the silence
- Personal Jesus
- Goodbye
- Home (Acoustic)
- Halo (Goldfrapp Remix)
- Just can’t get enough
- I feel you
- Never let me down again
Zugabe:
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